Wie umgehen mit Lampenfieber?

"Lampenfieber ist Respekt vor dem Publikum"

Das ist absoluter Bockmist! Wer so etwas von sich gibt, hat entweder noch nie selbst erlebt, wie lähmend sich Lampenfieber auswirken kann, ist zynisch oder im besten Fall - und das wollen wir hier annehmen, -  nur ahnungs- und hilflos.

 

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Wenn ich von „Lampenfieber“ spreche, dann meine ich damit ausdrücklich nicht diesen Zustand erhöhter Aufmerksamkeit und Sensibilität, gepaart mit einer gespannten Vorfreude auf den Beginn der „Show“. Die Spannung des Sprinters vor dem Startschuss, die seinen Fokus voll auf seine bevorstehende Aufgabe einstellt und damit hilft, seine beste Leistung abzurufen.

Diese höchst aktivierende Anspannung meine ich ganz ausdrücklich nicht, wenn ich von Lampenfieber spreche.

 

Lampenfieber ist eine hässliche und destruktive Kraft, der wir durch Aufmerksamkeit noch zusätzliche Macht über uns geben. Und jede(r) erlebt Lampenfieber anders. Von Lähmungserscheinungen, bis über Erbrechen und Durchfall, schlotternde Knie oder hohes Fieber, exzessiver Speichelfluss oder staubtrockener Mund, kompletter Stimmverlust oder Blutleere im Kopf, hat jeder schon einmal „Lampenfieber“ erlebt. Vielleicht sogar damals in der Schule, als plötzlich diese unangekündigte Klassenarbeit anstand.

 

Wir befinden uns bei jedem öffentlichen Auftritt in einer Bewährungssituation, wo neben unseren Stärken auch Schwächen ans Tageslicht kommen. Die Erwartungen, die wir selber an uns stellen, spielen dabei eine wichtige Rolle. 

 

Doch noch immer wird das Thema viel zu oft tabuisiert. Ich kenne wesentlich mehr Schauspielkollegen, die unter Lampenfieber leiden, als solche, die kein Lampenfieber mehr haben. Ich habe einige von ihnen gecoacht. Die mutigeren. Erst langsam setzt sich das Wissen durch, dass Lampenfieber eine völlig legitime unbewusste emotionale Reaktion auf eine Bedrohung ist. Eine Fähigkeit, die uns auf unserem Weg aus der Höhle das Überleben ermöglicht hat. Das Verhalten allerdings, das es in einer an sich harmlosen Situation einer Rede auslöst, ist nicht hilfreich. Hier dürfen wir das System ganz bewusst umprogrammieren. Wir dürfen neue neuronale Verbindungen herstellen, die ein wohltuenderes Verhalten unterstützen und diese durch wiederholtes Üben festigen. 

Angriff

Natürlich ziehen Sie nicht los und blaffen Ihr Publikum an. Die Variante Angriff äussert sich meistens in arrogante Überheblichkeit. Der Redner macht sich wichtig und die Rede dreht sich um ihn, oder seine Leistungen. Aber: Wen wollen Sie täuschen? Ihre Worte transportieren weniger als 10 Prozent der zwischenmenschlichen Informationen, die Sie kommunizieren. Da können Sie erzählen, was Sie wollen. Ihre Körpersprache, Ihre Stimme, Ihr gesamtes Auftreten verraten Sie als der Schaumschläger, der Sie sind, wenn sie sich eines so armseligen Mittels bedienen müssen. Und weil Sie nicht so dämlich sind und dazu gute Manieren haben, bleibt scheinbar nur das weit verbreitete Opossumspiel: „Sich tot stellen“. Das ist dann die Variante:

 

Flucht

Sie stottern und schwitzen, wie ein Schwein. Sie gehen durch die Hölle. Wir nennen es: „Lampenfieber“.

Ihre Stimme ist kaum zu hören, Ihr Blick klebt zwei Meter vor Ihnen auf dem Boden, wenn ein Rednerpult da ist, verstecken Sie sich dahinter und halten sich verkrampft daran fest. Und wenn Sie Folien haben, dann verdunkeln Sie den Saal so schnell es geht, um sich hinter Ihren zumeist überladenen Folien zu verstecken. 

Aber: Sich zu verstecken kann keine ernstzunehmende Option sein. Die Zuhörer sind gekommen, Ihre Stimme zu hören, Ihren Argumenten zu folgen und vor allem um Sie zu erleben.

Neuere Hirnforschung lehrt uns, dass wir unsere Entscheidungen mit dem emotionalen Teil unseres Hirns treffen. Ich bin gekommen um ein Gefühl für die Person zu bekommen, die mir etwas „verkaufen“ will. Da können Sie noch so glänzende Broschüren rausgeben, mit noch so beeindruckenden Zahlen aufwarten, am Ende des Tages treffe ich meine Entscheidung, weil Sie mir sympathisch sind. Die ganzen Sachargumente, die ich im Vorfeld gesammelt habe, ordne ich jetzt nachträglich so, dass sie meine Entscheidung stützen. So treffen wir Menschen nämlich Entscheidungen. Sagt die Forschung.

 

„All business is people business“. Es geht also um Sie.

Begeisterung

Natürlich gehen wir hier davon aus, dass Sie tatsächlich etwas zu sagen haben, wovon Sie zutiefst überzeugt und begeistert sind. Sie sind sicher, dass es für den Zuhörer ein Gewinn ist, ihnen zuzuhören. Das muss schon sein. Wenn Sie das nicht bieten können, dann bleiben Sie weg von der Bühne. Vergeuden Sie weder Ihre, noch unsere Zeit. Lassen Sie uns bloss in Ruhe mit irgendeinem Schwachsinn, an den Sie selber nicht glauben.

Nach einer Untersuchung der Harvard Universität schweifen 80 Prozent der Zuhörer nach den ersten zwei Minuten eines Vortrages gedanklich ab. Nach weiteren zwei Minuten geben sich wiederum 80 Prozent sexuellen Phantasien hin. Hoffentlich sind wenigstens die motivierend, wenn es die Rede schon nicht ist. So ist die Zeit dann doch nicht ganz vergeudet.

Lediglich 3 von 100 Reden werden von den Zuhörern als „inspirierend“ oder „motivierend“ bewertet. Der Rest läuft unter „So-lala“ bis „Zeitverschwendung“. 

Tragen Sie dazu nicht bei! Wenn Sie nichts zu sagen haben, sagen Sie ab.

Entscheiden Sie gleich heute, dass Sie die Zügel wieder in die Hand nehmen und selber entscheiden, wo die Reise hingehen soll.